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Am 31. Jänner 2010 verließ Zeitung „Österreich“ seriösen Boden

Posted in Oesterreich by Pangloss on 31. Januar 2010

Am 31. Jänner 2010 gab die Zeitung Österreich tiefen Einblick in ihre Seele: Die Kleininserenten.
(Foto: Zeitung Österreich, 31. Jänner 2010, S. 38; Archiv Blaulicht und Graulicht-Verbund)

(Wien, am 31. Jänner 2010) Der Herausgeber stand am letzten Tag des Jänners 2010 pünktlich wie die Eisenbahn um 6 Uhr 30 auf, suchte die Brieftasche, fand sie nicht, öffnete mit einem Dosenöffner die Spardose, entnahm von unten 15 Euro, bog die Spardose unten wieder zu, die nun aussieht wie eine geöffnete Fischdose und ging in den „Billa“, der am Franz Josef Bahnhof um 6 Uhr öffnet.

Er kaufte zwei Kilo Äpfel im Sack (sehr günstig – nur 1,49!), eine Kinderjause im Säckchen bestehend aus zwei Pikantwurstgurkerlsemmeln mit einem Pfirsicheistee (2,19), 10 ja! Natürlich Eier (3,49), einen Schoko-Milchtraum von Schärdinger (1,69) sowie zwei Fleischlaiberlsemmeln (3,72). Gesamtkosten: 12,58 Euro.

Das Budget war nun dermaßen erschöpft, dass es nicht mehr möglich war, im Schutze der Dunkelheit an den Zeitungsständen Münzen in die Mäuler der „Stummen Verkäufer“ zu werfen.

Gratis Lesen

Somit mussten die Zeitungen gratis entnommen werden. Wie das öfter am Sonntag geschieht und – zwangsneurotischer Spleen -, immer doppelt. Sodass am Sonntag ein dicker Packen, also zwei Ausgaben der „Österreich“, zwei der „Kronen Zeitung“, zwei des „Kurier“, zwei der „Presse“, zwei des „Standard“, zwei der „Wiener Zeitung“ am Tisch liegen. (Heute kam, außerhalb des üblichen, zwangsneurotischen Weges, eine „Kleine Zeitung – Sonntag“ dazu, die ein Zeitungszusteller im Korb liegen gelassen hatte.)

Jede Zeitung glaubt natürlich, sie hat die Welt erfunden. Jede Zeitung glaubt, sie ist die Beste. Darf sie.

Turmbau

Die Diskussion, welche Zeitung die Beste oder die Schlechteste ist, interessiert nur Insider. Als der Herausgeber 13 Jahre alt war, begann er mit dem Zeitungssammeln und schon damals hatte er in seinem Kinderzimmer einen babylonischen Turm der Stimmen und Meinungen bis unter die Decke gebaut. Er hatte so viele Zeitungen, das der Turm bis unter die Deckenlampe reichte. Als der Turm umzustürzten drohte, baute der 13-Jährige einen zweiten Turm, der den ersten stützte. So war das. Die Twin Towers von Manhatten übten immer schon eine Faszination aus.

2006 gründete Wolfgang Fellner die Tageszeitung Österreich. Als er 13 war baute er vermutlich auch Zeitungstürme im Zimmer und lenkte eine Schülerzeitung. Später den Rennbahn Express. Dann in Wien News, Format, TV-Media, E-Media und später Woman. 2006, nachdem die Magazine verkauft waren, gründete er „Österreich“. Ihm finanzierte diese Gründung die Raiffeisenbank, die Zeitung entstand auf Pump. Damals kritisierte dieses Journal, dass er nur Lehrlinge einstellte, frische, unerfahrene, durch ihn leicht lenkbare Jungjournalisten, die gerade aus der Fachhochschule kommen. Einige „Alte Hasen“ nahm er von den Magazinen mit. Andere Gereifte warb er an, die nicht lange blieben. Manche gingen nach dem ersten Jahr, weil die Dominanz des Herausgebers Fellner keinen Raum zur Entfaltung gab. Und sein Qualitätsmuster deutlich tiefer steht, als es Leute hatten, die er mit dem Geld von Raiffeisen lockte.

Österreich vulgär

Nun, am 31. Jänner 2010, wirft er alle Ziele über Bord. Ursprungsziele waren, eine Zeitung zu machen, die Österreich eine Identität gibt. Die Innenpolitik wie Chronik breiten Raum gibt und die ein modernes Layout und eine junge, zukunftsorientierte Leserschaft hat. Und nun das. Im Jänner 2010 begannen die Kleininserate.
Kleininserate können, wie in der Stadtzeitung „Falter“, den Charakter der Leserschaft widerspiegeln. Sollten die Kleininserate in der Zeitung „Österreich“ die Seele der Zeitung spiegeln, muss man sich wundern.

Kleininserate – Blick in die Seele der Leser

Was wird offeriert? „Autoankauf“, „Autobarankauf“, „Bargeld sofort“, “Autobelehnung”, „Topverdienst für Barmädchen“, „Begleitungen“. Unter der Rubrik „Beratung“ (!): „Starwahrsagerin“, „Soforthellsehen“, „Handlesen“, „Wahrsagerin“. Unter „Clubmassagen“ bietet „Sabrina Superservice“, zeigt sich eine 23-jährige Russin im Spiegel, in der falschen Rubrik „Fitness/Gesundheit“, bietet eine Telefonnummer für „Zärtlichrelax“. Was das ist, wissen alle, die es wissen.

Unter „Escortservice“ bietet sich „gayescort.at“ an, endlich in der Rubrik „Kontakte“: Ein „Blasmäuschen besucht“ (mit Bild). Eine „Neue“ bietet „dominant pur“, ferner gehen eine Slowakin und eine Wienerin ihre Zweckgemeinschaft in einer „Privatwohnung“ ein. Wofür? Für good, old intercourse. Außerehelich. Versteht sich.

Eine „Karin“ sagt: „Ich bin Hausfrau, alleinstehend und suche Männer für Sex. Habe kein Geldinteresse, bin mobil.“ Man fragt sich ja immer, wie diese „Karin“ (nome de guerre) dann das vierzeilige Inserat finanziert (57 Euro)? Des Rätsels Lösung, das wissen Insider wie der Herausgeber von Gatten solcher Frauen: Es ist Telefonbetrug, denn die Nummer ist eine verdeckte Mehrwertnummer und Ziel ist es ausschließlich, Männer möglichst lange am Telefon zu halten. Zu Treffen kommt es in der Regel NIE. Es geht nur ums Telefonieren. Weitere wie eine „Jutta“ und eine „Jeniffer“ bieten im Ressort “Kontakte” das gleiche Modell des Andockens und Abzockens an.

Ein Schwuler bietet im Ressort „Kontakt“ eine „Gaynaturmassage“ an, eine 45-jährige „Eva“ aus Niederösterreich „tolles ohne Service“, jedoch: „Nur mit Termin.“ So ist es. So soll es sein. Immer schön warten. Jeder kommt dran. Um „69 Euro“ bietet eine Telefonnummer den „Stundenhit“, wer es billiger haben will wird mit
„Omasentspannung“ um 25 Euro günstig bedient.

Sexinserate, Kredithaie

Die Zeitung „Österreich“ bietet diese Inserate an. Sex-Inserate sind vor allem im letzten Jahr von der „Kronen Zeitung“ offensiv forciert worden. Dass man auch „Kredithaien“ großen Raum für eine bezahlte Schaltung bietet, erzeugt Kopfschütteln. Ein Inserent am Westbahnhof bietet “Sofortkredit”. Ein anderer „Kreditgarantie“ und „Bargeld noch heute“, sowie „Zusatzkredite“, „bürgenfrei“. Mit „Sofortkredit“, „rasch und bürgenfrei“ wirbt eine andere Firma.

Dann kommt noch ein „Stellenangebot“. Wie könnte es anders sein: „Servicekraft (Bar) gesucht! Tag/Nacht/Wochenenddienst“. Danach die obligaten „Telefonsex“-Inserate: Von „Heute noch Sex“ bis „Fremdgehline“ über „Seitensprung“, „Bumsen wir“ bis „Hausfrau geil“ in allen Farben und Variationen. Schlusspunkt der Inserate in “Österreich”: „Blitz-Autobelehnung“. Womit die Balkanisierung der Wiener Wirtschaft offensiv beworben wird.

Erkenntnis und Fazit: Wolfgang Fellner warf alle Prinzipien über Bord. Wohl macht er mit dieser Seite Kleininserate vielleicht 3.000 Euro pro Tag. Doch die Art der Inserierenden wirft einen langen Schatten auf die Leserschaft von „Österreich“. Er wollte eine Zeitung machen, die eine Kreuzung aus „Süddeutscher, Stern und USA Today“ ist. Mit dieser Art von Kleinisneraten geht das nicht mehr. Da er nun den Weg eingeschlagen hat, alles abzugrasen, was zahlungswillig ist, ist mit Jänner 2010 das Ende der Phase einer Qualitätszeitung besiegelt. Qualitätszeitung war „Österreich“ ohnehin nie. Weil die Schlagzeile zu stark dominiert. Doch wer den unersiösen Inseraten der Schattenwirtschaft einmal Tür und Tor öffnet, wird eine Trash-Zeitung und nicht mehr ernstzunehmen sein.

[Beitrag entstand nach 14 Uhr, denn um 8 Uhr 30 standen drei Polizisten in der Wohnung des Herausgebers und nahmen ihn zu einer 3,5-stündigen Einvernahme mit. Ende: 12 Uhr 00. Jedoch: Alles in Ordnung!]

Marcus J. Oswald (Ressort: Österreich)