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China schliesst Hollywood aus

Posted in China, International, Markenschutzrecht by Pangloss on 8. August 2011

Das TIME Magazine berichtet am 25. Juli 2011 über die chinesische Kinolandschaft. Westliche Filme sind dort so gut wie nicht zugelassen. Plattmacher Transformers 3 geponsert von Red Bull und Superfund, kann dort nicht gesehen werden. Auch Harry Potter kommt nicht in die chinesischen Kinos. (Foto: Cover TIME, 25. Juli 2011)

(Wien, im August 2011) Über China weiß man durch das Internet wenig, was am „Goldenen Schild“ liegt. Diese sogenannte „Große Firewall“ wurde 1998 geplant und angeblich 2006 fertig erstellt. Manche Webseiten meinen Zahlen nennen zu müssen, was das Geheimdienstprojekt gekostet hat: Die nicht-zitierbare „Grauquelle“ Wikipedia mit ihren Pseudonymautoren stellt eine Zahl ins Internet und entblödet sich nicht, als Belegquelle ausgerechnet das staatliche „China Central Television“ (CCTV) heranzuziehen. „Eine halbe Milliarde Euro“ (oder 800 Mio US-Dollar) seien zwischen 1998 und 2006 in das Abwehrschild gesteckt worden. Wer’s glaubt wird selig.

So faszinierend China in seiner Größe und Art ist, so wenig kann man als europäischer Zehntagestourist über das Land wissen. Der Vater des Autors dieser Zeilen war mit dem Buchkirchner Pensionistenverband 2011 in Peking. Er stand sogar auf der Chinesischen Mauer irgendwo auf einem der 8.851 Kilometer und bestaunte die alten Steine. Nach der Reise heimgekommen meinte er, dass es schön war, aber das Reisepensum für 2011 damit erfüllt ist. „Sonst habe ich meinen Swimmingpool umsonst gebaut“, so der SPÖ-Obmann des Buchkirchner Pensionistenverbandes. Wahre Worte. Wozu in die Ferne schweifen, wenn es zu Hause auch schön ist.

Über China kann man wenig wissen. Selbst wenn man Stammgast in Wiener Massagesalons wäre und Hongkong-Chinesinnen ein paar Worte deutsch beibringen möchte. Das Land ist zu groß, zu weit weg, zu sehr von Mystik umgeben, zu viel alte Mystik der Dynastien, zu viel neue Mystik der Milliardäre und Parochialisten. Staatsdirigismus, Einkindpolitik, „Volkseigentum“ von hin man sieht, schlappe 3.000 Abgeordnete im Parlament.

Das Land des falschen Lächelns setzt auf Kommunismus. Im Prinzip gilt alles als gut, was dem Staat zukommt. Kein Land sieht bei der Produktpiraterie so weg wie China und sanktioniert es nicht. In allen Schwarzen Hitlisten zum Angriff auf Markenschutz steht China auf Position 1. Kürzlich tauchte die Stadt Kunming zwei Mal in kurzen Abständen in deutschsprachigen Medien auf. Am 5. August 2011 schrieb der „Standard“ erneut über die bisher gänzlich unbekannte Stadt. Dort wurde durch Spione nicht nur das Produktsystem „Ikea“ in Europa ausgeleuchtet, um Waren zu kopieren, sondern man baute gleich das ganze IKEA-Geschäft nach. Samt kurzem Bleistift und Block, den gelb-blauen Signalfarben und den Selbstbaumöbel.

Kunming tauchte vor einem Monat bereits in deutschsprachigen Medien auf. Das Düsseldorfer „Handelsblatt“ berichtete auf einer ganzen Seite, dass in der Stadt fünf Apple-Stores zu finden sind, die Apple-Produkte verkaufen und die exakt so aussehen wie puristische Apple-Shops aussehen, mit dem Haken, dass Apple nichts davon weiß und kein einziges Geschäft von Apple lizenziert ist. So sind sie, die Chinesen.

Lächeln ist nett, aber nur nett, wenn es echt ist. Die Staatswirtschaft ist eine Planwirtschaft auf den Schultern der westlichen Marktwirtschaft und Forschung und Entwicklung. Das TIME Magazine vom 25. Juli 2011 berichtet auf der Seite 10 eine Analyse des TIME-Korrespondenten Fareed Zakaria, der den chinesischen Kinomarkt beleuchtet. Es ist insoweit interessant, weil der Korrespondent davon ausgeht, dass China theoretisch mit seinen 1.3 Milliarden Einwohnern (parallel zu Indien, Anm. Autor) der größte Kinokonsum-Markt sein könnte.

Der Bericht hebt mit dem schönen Satz an: „On any particularly hot day this month, people around the world will do what they have done for decades: go to an air-conditioned movie theatre an watch a summertime blockbuster. The latest biggest movie is Transformers: Dark of a Moon, which has broken box-office records in the U.S. and in many of the 110 other countries in which it has been released.“ Doch schon im nächsten Satz stellt der TIME-Autor fest, dass das in einem Land nicht der Fall ist: In China.

Weder Harry Potters letzter Streich, noch andere 3D-Leinwandreisser (wie eben der genannte „Transformers 3“ rund um wandelbare Blechriesen, die die Welt retten), sind in China zu sehen. Der chinesische Kinomarkt ist der expansivste der Welt. Drei Kinos werden pro Tag eröffnet.

China hat bisher 6.200 Lichtspielhäuser und könnte für jeden Filmproduzenten aus Hollywood oder Bollywood oder Paris oder München ein großer „Abnehmermarkt“ für Filmkopien sein. Das staatliche Ministerium erlaubt das aber nicht.

Grund: Aktuell läuft in China ein großer patriotischer Film aus Anlass des 90-jährigen Staatsjubiläums in den Kinos. Er heißt „Beginn der Großen Erneuerung“ und gilt als aufwendigste chinesische Filmproduktion aller Zeiten. Es ist eine Mao-Biografie. Der Streifen, der China huldigen soll, wurde am 16. Juni 2011 in 6.000 (!) Kinos gleichzeitig gestartet. Doch der Kartenverkauf läuft schleppend und blieb hinter den Erwartungen, obwohl im Epos fast hundert in China bekannte Schauspieler Hauptrollen einnehmen. Trotz tausender Freitickets bleiben die Kinos fast leer. Dazu kamen negative Kritiken im Internet, die etwas später durch das „Goldene Schild“ zensuriert wurden. Auf Saugwebseiten, wo der Film auch schon gelandet ist, etwa auf VeryCD, wurde der Film von 90% der User als „Trash“ eingestuft. Also: Mist.

Auch am IMDb-Portal (Internet Movia Database), das Amazon betreibt, hat der Film zwar bereits – nicht unüblich für das Portal – 3.923 Bewertungen, aber nur, und das zählt, 2.1 Stars von 10. Der Film wird also – vorsichtig ausgedrückt – als nicht besonders gut gelungen bewertet.

[Vergleiche: Ein anderer Heldenmythos, hergestellt mit einem Schmalbudget, „Rocky“ (1976) hat 8.1 Sterne (wertvoll) und selbst der etwas zähe Opa-Abklatsch „Rocky Balboa“ (2006) bringt es auf 7.3 Sterne. Oder „Deer Hunter“ (1979) hat 7.3 Sterne und „Kramer gegen Kramer“ hat 7,7 Sterne. „Der Letzte Kaiser“ (1987) hat 7.8 Sterne. Und „Chinatown“ (1974) hat 8.4 Sterne.]

Freilich muss man mit den Bewertungsportalen kritisch ins Gericht gehen. Am beliebten IMDb-Portal, das 1990 von Amazon gegründet wurde, werden meist U.S. Produktionen kommentiert. Das Portal ist Sprachrohr der Hollywood-Produktionen und die Bewertungen dort geben den Ausschlag, was auf Amazon als „beliebt“ eingeschätzt und gekauft wird. Filme aus Russland, dem arabischen Raum oder aus China sind meist außerhalb der Wahrnehmung. Indische Bollywood-Filme kommen schlecht weg („seicht“), nur dann nicht, wenn irgendwelche langhaarige Schönheiten darunter sind und es hitverdächtige Musicalfilme sind. Jede Region der Welt hat ihre Filmcommunity und jene am IMDb-Portal ist eben geprägt durch Hollywood.

Daher hat der Pekinger Chef der „New Film Association“ ministeriell verlautbart, dass solange kein ausländischer Film mehr in chinesischen Lichtspieltheatern gezeigt werden darf, ehe „Beginning of the great revival“ 800 Millionen Yuan (oder: 124 Millionen US-Dollar) eingespielt hat.

Schon bisher war der chinesische Kinomarkt für westliche Hersteller kein guter Boden: Hollywood-Studios bekommen pro verkaufter Karte nur 13%, während am Rest des Globus 50% üblich sind. Zudem gibt es ein Jahreslimit: Nach einer staatlichen Quote dürfen nur 20 Filme aus dem Westen im Jahr importiert werden.

Warum das so ist, kann man sich an allen zehn Fingern abzählen: Die Produktpiraterie von westlichen Filmen ist fest in chinesischer Hand. Man will, wie bei anderen Waren, aus zweiter Hand verdienen. Und vielleicht, das könnte auch sein, eine eigene Filmindustrie aufbauen. Mit Filmen wie diesen. Die in westlichen Portalen miserabel bewerten werden.

Der chinesische Film rüstet auf. Pünktlich zum 100. Jubiläum des chinesischen Films 2005 begann man mit der Errichtung des größten Filmstudios von China in Peking. Dort ist Sitz der China Film Group. Chairman Han Sanping (im Bild auf linker Seite bei Eröffnungsrede am 31. Juli 2008) ist auch der Produzent des Staatsepos Beginning of the great revival. (Quelle: Arri News, Fachmagazin in englischer Sprache, September 2008, S. 8-13)

China hängt nicht nur „Google“ die Rute ins Fenster, sondern auch anderen westlichen Einflüssen wie „Facebook“. Die eigene Suchmaschine „Baidu“ soll ausgebaut werden. Und die Filmindustrie.

Filmtradition seit 1905

Laut Chef der „China Film Group“ Han Sanping hat der erste Lauffilm Chinas 1905 das Licht der Welt erblickt (Titel: „Ding Jun Shan“, Regie: Ren Qingtai). Daher feierte man 2005 „100 Jahre chinesischen Film“ und setzte das staatliche Bauprogramm für das zentrale chinesische Filmstudio CFG um. Dessen Slogan lautet: „Just bring your script, money and key actors – we do the rest“. Die Eckdaten des Studios berichtet das in München in englischer Sprache erscheinende Magazin „ARRI News“ in der September-Ausgabe 2008: Es steht auf einem Gelände mit 150.000 Quadratmetern. Startbudget war: 300 Mio U.S. Dollar (2 Mrd RMB). Es gibt 16 Abteilungen auf einem gesamten umbauten Büroraum von 40.000 Quadratmeter. Herzstück ist das größte Studio Asiens, das 5.000 Quadratmeter misst („super-sized studio“) und dessen Equipement an nichts zu wünschen übrig lässt. Das Lager für die Studios und Einheiten umfasst 16.000 Quadratmeter und Hauptausstatter ist die Firma ARRI. Die Arnold & Richter Cine Technik GmbH & Co. Betriebs KG, wie die Münchner Firma im Langtitel heißt, machte ein Riesengeschäft mit China – man lieferte Kamera-Feinheiten wie ARRICAM, ARRIFLEX 435 xtreme oder ARRI 235 und ARRI lighting Systeme nach Peking.

Die Filmstadt hat am Gelände 52 Tonstudios für Postproduktion und Schnitt, 10 Studios für visuelle Spezialeffekte, 6 Studios für Farbnachbearbeitung, sowie 10 Studios für Trickfilm und 3D-Produktion. Außerdem gibt es ein 410 Quadratmeter großes Tonstudios am Gelände, das für Postproduktion und Synchronistation genutzt wird. Dass die Firma ARRI aus München in China das Geschäft des Lebens machte, zeigt sich daran, dass man auch für als Ausrüster mit vier ARRILASERs und drei ARRISCANs für Datenerfassung und Druckverfahren (Filmplakate, Tickets) in Betrieb hat. ARRI ist in Peking „Hauptausstatter“, da die Chinesen den Deutschen mehr Vertrauen schenken als amerikanischen Herstellern (etwa Panavision).

„China Film Group“- Chef Han Sanping gibt im Interview mit der ARRI News Auskunft, wie es um den chinesischen Filmmarkt derzeit bestellt ist: Das „Box Office“ (Einnahmen an der Kinokasse) hat 2007 – im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 – um 53% (zu 2006) zugenommen. 2007, und diese Zahlen sind bekannt, wurden in China rund 2.000 Spielfilme produziert, wobei 20% durch die „China Film Group“ direkt hergestellt wurden (402 Filme für Kino und TV). Viele Filme werden in Neuseeland gedreht, die Postproduktion läuft dann in China. Diesbezüglich ist man liberaler als man im Westen glaubt. 2007 war der bekannteste Film „Warlords“ (Regie: Peter Chan). 2008 produzierte die CFG 80 Spielfilme für Kino und 200 Filme für TV, dazu rund 500 Episoden für TV-Serien. 2008 kam auch der HD-TV Film „Dream of the Red Chamber“ heraus, der über einen Star der Pekinger Oper der 40er Jahre handelt.

Erfolgreichster China-Film aller Zeiten: The Red Cliff – Part 1 (2008, Trailer)

Erolgreichster China-Film aller Zeiten: The Red Cliff – Part 2 (2009, Trailer)

Der teuerste und an Kinokassen erfolgreichste Film aller Zeiten, der je in China hergestellt wurde, ist laut CFG-Chef Han Shaping „The Red Cliff“ (Regie: John Woo, 2008) und zwar der Teil 1. Er kostete 80 Mio U.S. Dollar Produktionsgeld und spielte allein in China mehr als 43 Mio U.S. Dollar ein (300 Mio RMB). Im gesamten Raum Asien spielte Red Cliff mehr ein als „Titanic“. Da die „China Film Group Cooperation“ auch der zentrale Filmvertrieb für ganz China ist (6.200 Kinostätten) und dem längst in Los Angeles lebenden Regisseur und Produzenten Woo nur 13% pro Ticketerlös überwiesen werden, sind Chinesen alle Erfolge Recht. Ob aus Eigenem oder durch den Vertrieb in das Kinonetzwerk auf chinesischem Boden.

Für die Jahre 2009 und 2010 errechnete der Chef der „China Film Group“, dass die Kassenerlöse chinesischer Produktionen in China im Vergleich zu 2005 und 2006 um 100% gesteigert werden. Nur bei einem Film scheint es nicht so recht zu klappen. Das blutige Drama rund um die Entstehung der (heute) weltweilt größten kommunistischen Partei (Mitglieder je nach Quelle: 79 Millionen bis 92 Millionen Menschen) scheint im Kino die Chinesen nicht zu fesseln.

Hier der China-patriotische Film in voller Länge. Denn in die österreichischen Kinos wird er vermutlich nicht kommen.

Ein bisschen Produktpiraterie – einmal umgekehrt – darf schon sein. Allerdings muss man dazu Mandarin lernen. Oder doch Stammgast bei Hongkong-Masseusinnen werden und den Film mit ihnen gemeinsam anschauen.

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Abweichende Ergänzung:

Entgegen zum „Time“-Magazine, das am 25. Juli 2011 in seiner Ausgabe behauptet, dass weder „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes II“ noch „Transformer 3“ Eingang in den 6.200 chinesischen Kinos fänden, berichtet das Münchner Magazin „Focus“ in seiner Ausgabe vom 8. August 2011 (32/2011) auf Seite 88, dass „Harry Potter China erobert“. Im 39-Zeiler heißt es, dass Harry Potter seit Filmstart im Mitte Juli weltweit bereits „eine Milliarde Dollar“ eingespielt hat und „nach dem verzögerten Filmstart in China am vergangenen Wochenende“ (gemeint: Anfang August 2011, Anm. d. Autor) dürfte noch etwas dazukommen. „Die Branche schätzt, dass er im Reich der Mitte den Auslandsumsatz um 100 Millionen auf deutlich über 800 Millionen Dollar steigert.“ Demnach bekam „Harry Potter“ in China doch Zulassung. Auch „Transformers 3“ habe laut „Focus“ (32/2011, S. 88) in China bereits „113 Millionen Dollar“ eingespielt, nach den USA („340 Millionen Dollar“) Platz zwei. Falls zumindest die „13%“ vom Kartenpreis, die das „TIME Magazine“ als Provision für Produzenten von Auslandsfilmen in China errechnet, stimmen, bleibt dennoch der Löwenanteil in China.

Zu China erschienen in den letzten Wochen in Österreich interessante Berichte:

Am 27. Juni 2011 widmete das Magazin „Profil“ (26/2011) China sogar die Titelseite: „Böses China“ heißt es darin und man zeigt einen düsteren chinesischen Soldaten. Als „brutale Diktatur“ wird China bezeichnet. Im Heft findet sich im Partezetteldesign auf Seiten 60 bis 69 dann aber wenig Neues. Man sehnt die „große Revolte“ herbei und feiert einmal eine Seite lang den überschätzten Ai Weiwei ab. Man zitiert dann einen Schriftsteller (Bei Ling), einen Zeitungskorrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“. Eine Druckseite ist ein „Zitate-Wald“, in dem einzelne Worte zu China lose nebeneinander gestellt werden. Auf gar zwei Seiten lässt man den „Dissidenten“ Wei Jingsheng über China plaudern, obwohl dieser nach 18 Jahren Haft ab 1978 seit 1997 China nicht mehr betreten hat und nur gelernter Elektriker ist, sich nun aber als großer Politik-Experte aufspielt. Schön, dass man ihn hofiert, vor allem gleich in Paris. Die acht Seiten runden eine Besprechung zu einem Sachbuch von Henry Kissinger ab, das schlicht „China“ heißt.

Am 18. Juli 2011 kam auf den Fuss, was klar war. In „Profil“ (29/2011) folgte ein Interview mit dem chinesischen Botschafter in Wien, Shi Mingde. Dieser forderte das, da der Bericht „Böses China“ doch einseitige Züge durch den Autor Robert Treichler hatte. Der Botschafter legt klar, dass der so genannte Menschenrechtsfaktor in einem großen Land wie China nur ein Teil des Ganzen ist. Der Gesandte klärt auf, dass China 1949 ein Bruttosozialprodukt der Wertschöpfung von 35 U.S. Doller hatte, hingegen dieses 2011 bei 3.080 Dollar pro Kopf liegt. „Wir haben 200 Millionen Menschen von Armut befreit“, so der Botschafter im Interview. „Das ist eine große Leistung, die man anerkennen muss. Wir haben immer für Demokratie gekämpft. Aber wie wird Demokratie verwirklicht? Das muss den Verhältnissen im jeweiligen Land entsprechen. Die Europäer können nicht ihre eigenen Maßstäbe für die ganze übrige Welt setzen. Wenn die Existenz der 1.3 Milliarden Menschen verbessert wird, ist das eine Verbesserung der Menschenrechte.“ An einer anderen Stelle im Interview, das sich über drei Druckseiten zieht, sagt Botschafter Mingde: „1949 hatten die Chinesen eine Lebenserwartung von 35 Jahren, jetzt sind es 76 Jahre.“ Zur Internetnutzung sagt der Botschafter und auf „Sperren“ bestimmter Wörter wie „Jasmin“ angesprochen: „Aber beachten Sie die Fakten: Die Zahl der Internet-Benutzer in China wachse jährlich um 30 bis 40 Prozent. Wo gibt es das noch?“ Auf die naive Frage des „Profil“, dass es „doch gut sei, dass jeder im Internet verbreiten kann, was er will“, antwortet der Botschafter: „Da gibt es auch Pornografie, radkale politische Slogans und Terrororganisationen, die das Internet als Plattform benutzen.“ Ai WeiWei sei übrigens weniger wegen seiner Sturheit unter Polizeibeobachtung, sondern wegen Steuerhinterziehung, so der Botschafter. Noch etwas sagt er: Es gibt in China „acht demokratische Parteien, die in China mitregieren“, die „leitenden Kader dürfen maximal zwei Perioden im Amt bleiben. Wenn man das mit einigen europäischen Ländern vergleicht, sind wir viel weiter.“ Außerdem werden in „600.000 Gemeinden und Kreisveraltungen die Vorsteher direkt gewählt.“

Das Thema „Internet und China“ hebt am 12. Juli 2011 die „Oberösterreichischen Nachrichten“ auf eine ganze Druckseite. Unter dem Titel „Wie China per Internet die Diktatur stärkt“ thematisiert man auf Seite 3 die Abschottungsstrategie Chinas. Autor Bernhard Bartsch pusht Ai Weiwei und seinen Twitter-Eintrag Ende Februar 2011, wo er davon sprach, dass er einen „Wuamo“ interviewen will. Er zahle 2000 Yuan (200 Euro). Wuamos sind „Internetagenten“, die für geringe Beträge von der Regierung bezahlt werden, dass sie kampfposten. Die „Online-IMs“ folgen einer „Anweisung für den Aufbau eines Systems für Internetkommentare“. Von der Kreisebene abwärts gäbe es solche „Wuamos“ („fünf Groschen“) und landesweit zirka 4.000 Gruppen, die Untergruppen führen. Die OÖN berichtet, dass am 3. März 2011 1.450 Spitzenkadern Chinas ein geheimes Papier zugestellt wurde, das auf zwei frühere Anweisungen des ZK Bezug nimmt. Ein Hongkonger Verleger hat das Papier berichtet. Sinn sei es, Nachrichtenströme zu lenken und zu beeinflussen. Da Facebook und Twitter in China nicht frei empfangbar sind, werden Sperren umgangen. Da die Partei Berichte zu Korruption nicht schätzt, auch keine Bilder von Demos und dergleichen, wird die öffentliche Meinung gesteuert. „Die öffentliche Meinung muss 24 Stunden am Tag in Echtzeit beobachtet werden“, heißt es im Papier. Das geschieht mit „positiven Informationen“ und Lenkungen der öffentlichen Meinung. Im Westen nennt man das „Krisen-PR“. Der „Wuamo“ soll angeblich 5 Cent pro Beitrag, den er schreibt, bekommen. Übrigens, auch das geht aus dem Bericht der OÖN hervor: Zwei Millionen Soldaten und Militärpolizisten in China haben keinen Zugang zum Internet. Zu sensibel wären die Daten. Wikileaks hatte einen Bradley Manning, aber keinen Sun Sun.

Marcus J. Oswald (Ressort: International, China, Markenschutztrecht)